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TITELTHEMA

Der Krieg, der die Welt veränderte

Der Krieg, der die Welt veränderte

Vor 100 Jahren erfasste eine Woge des Patriotismus Millionen junge Männer. Vom Kriegsfieber gepackt verließen sie ihr sicheres Zuhause und zogen auf die Schlachtfelder. „Ich gehe in den Kampf mit dem leichtesten aller leichten Herzen . . . Ich bin glücklich und voll Erregung“, schrieb ein Amerikaner 1914, der sich freiwillig zur Armee gemeldet hatte.

Die Euphorie schlug jedoch bald in bittere Enttäuschung um. Niemand ahnte, dass jene riesigen Armeen jahrelang in den schlammigen Schützengräben von Belgien und Frankreich feststecken würden. Man sprach damals vom Großen Krieg.

Eine treffende Bezeichnung für den Ersten Weltkrieg, schon allein wegen der großen Verluste: Er soll rund 10 Millionen Todesopfer und 20 Millionen Verwundete gefordert haben. Er war auch geprägt von großen Denkfehlern und Fehlentscheidungen: Die europäischen Staatsmänner konnten nicht verhindern, dass sich die Feindseligkeiten zu einem weltumspannenden Konflikt ausweiteten. Doch vor allem hat der Krieg große Wunden geschlagen und tiefe Narben hinterlassen. Er hat die Welt so nachhaltig verändert, dass wir das heute noch spüren.

WIE DAS VERTRAUEN ZERSTÖRT WURDE

Der Erste Weltkrieg brach aus, weil die Lage völlig verkannt wurde. Die europäischen Staatsführer glichen einer „Generation von Schlafwandlern, die in jenem halkyonischen friedlichen Sommer 1914 ahnungslos über den Rand des Abgrundes taumelten“, so das Buch Der Untergang der Dynastien.

Wenige Wochen nach der Ermordung des österreichischen Erzherzogs sahen sich die europäischen Großmächte plötzlich in einen Krieg verwickelt, den sie gar nicht wollten. „Wie ist denn alles gekommen?“, wurde der deutsche Reichskanzler kurz nach Kriegsausbruch gefragt. „Ach, wenn das jemand wüsste“, antwortete er mit verzweifelter Miene.

Die Entscheidungsträger hatten keine Vorstellung davon, wie verhängnisvoll ihre Entscheidungen waren. Doch die Soldaten in den Schützengräben wurden sehr bald mit der Realität konfrontiert. Sie mussten feststellen, dass ihre Staatsführer sie betrogen, ihre Geistlichen sie belogen und ihre Generäle sie verraten hatten.

Von Staatsführern betrogen, von Geistlichen belogen, von Generälen verraten

Die Staatsführer hatten versprochen, der Krieg würde den Weg für eine neue, bessere Welt ebnen. Der deutsche Reichskanzler erklärte: „Wir kämpfen um die Früchte unserer friedlichen Arbeit, um das Erbe einer großen Vergangenheit und um unsere Zukunft.“ Woodrow Wilson, der amerikanische Präsident, prägte die Parole mit, der Krieg würde „der Welt die Demokratie sichern“. Und in England sprach man vom „Krieg, der allen Kriegen ein Ende machen“ sollte. Alles falsche Versprechungen.

Die Geistlichen schürten die Kriegseuphorie. Ein Historiker schrieb: „Die Hüter des Wortes Gottes führten den Kriegsgesang an. Der totale Krieg bedeutete schließlich totaler Hass“ (The Columbia History of the World). Statt die Flammen des Hasses zu ersticken, heizte der Klerus sie noch an. In dem Buch A History of Christianity heißt es: „Den christlichen Glauben höher einstufen als die Staatsangehörigkeit — das konnten die Geistlichen nicht, und die allermeisten wollten es auch gar nicht. Die Mehrheit machte es sich einfach und setzte das Christentum dem Patriotismus gleich. Christliche Soldaten aller Glaubensrichtungen wurden aufgefordert, im Namen ihres Retters einander umzubringen.“

Die Generäle hatten einen schnellen und leichten Sieg versprochen, aber sie hatten sich verrechnet. Nach kurzer Zeit steckten die gegnerischen Armeen in einem zermürbenden Stellungskrieg fest. Millionen Soldaten durchlebten die vielleicht „grausamste Prüfung großen Stils, die Fleisch und Geist des Menschen . . . [je] haben erdulden müssen“, wie ein Historiker es formulierte. Trotz entsetzlicher Verluste trieben die Generäle ihre Männer immer wieder in die Stacheldrahtbarrikaden und lieferten sie dem Sperrfeuer der Maschinengewehre aus. Kein Wunder kam es überall zu Revolten.

Welche Spuren hinterließ der Erste Weltkrieg in der Gesellschaft? Ein Kriegsveteran drückte es laut einem Geschichtswerk so aus: „Der Krieg . . . hat das Denken und Verhalten einer ganzen Generation schwer gezeichnet.“ Ganze Reiche zerfielen. Dieser verheerende Krieg sollte das blutigste Jahrhundert der Weltgeschichte einläuten. Revolutionen und Aufstände gehören seitdem fast zur Tagesordnung.

Wieso hat dieser Krieg die Welt derart in ihren Grundfesten erschüttert? War er wirklich nur das Resultat einer Reihe von unglückseligen Verkettungen? Sind die Antworten auf diese Fragen irgendwie von Bedeutung für unsere Zukunft?